An der Fahrraddemo „Sicherer Hafen Münsterland!“ beteiligten sich etwa 250 Teilnehmer:innen in Münster (und weitere am Vortag in anderen Städten des Münsterlands. Zu dieser Aktion hatten Seebrücke Aktionsbündnis Münsterland, Seebrücke Münster, Welcome Münster, Odak Kulturzentrum und Sea-Eye Münster aufgerufen.
Wir beteiligten uns mit unten nachzulesendem Redebeitrag. Zugleich machten unsere Genoss*innen der Gruppe B.A.S.T.A. auf die bevorstehende Delegationsreise der zapatistischen Bewegung aus Chiapas/Mexiko aufmerksam, die auch in Münster eine längere Station machen wird.
Redebeitrag der FAU Münster
Frühjahr 2021 – Landkreis Diepholz
Tausende Saisonarbeiter*innen kommen aus Osteuropa für die Spargel- und Erdbeerernte. Sie wissen zuvor: zwei Wochen müssen sie in Quarantäne, und zwar in Arbeitsquarantäne. Sie können zwar auf den Feldern schuften, werden aber ansonsten hermetisch abgeriegelt. Die Arbeiter*innen werden jedoch zuweilen so auf die Arbeitsorte verteilt, dass sie auch mit solchen aus anderen Unterkünften ohne geregelten Abstand zusammenarbeiten müssen. Es kommt – fast wie vorprogrammiert – zu einem großen Corona-Ausbruch, mindestens 131 Personen werden infiziert. Einige sind schwer erkrankt. Für alle wird die Quarantäne verlängert. Von den ersten Infektionen bis zu einer systematischen Testung aller Beschäftigten dauerte es zehn Tage. Viele Arbeiter*innen weigerten sich zwischenzeitlich auf die Felder zu gehen, andere traten die Rückreise an. Sie berichten dass sie selbst bei Krankschreibung ihre Unterkunftskosten zahlen sollten. Mangels anderer Alternativen fügten sich die meisten jedoch in ihr Schicksal und gingen weiter auf die Felder
Mai 2020 – Bornheim bei Bonn
Der Insolvenzverwalter des Spargelhofs Ritter heuert einige hundert Erntearbeiter*innen aus Rumänien an. Für die erbrachte Arbeit werden nur kleine Lohnabschläge bezahlt. Die Ernte soll wegen des durch die Coronakrise eingebrochenen Umsatzes vorzeitig eingestellt werden und die Beschäftigten ihre Unterkünfte verlassen. Viele Erntearbeiter*innen legen die Arbeit nieder, um die Auszahlung der Löhne durchzusetzen. Durch eine Intervention der FAU Bonn und vieler Unterstützer*innen werden weitere Lohnzahlungen unter der Aufsicht von Anwälten durchgesetzt. Doch viele Abrechnungen sollen völlig falsche Zahlen enthalten, außerdem fordern die Arbeiter*innen auch, für den Arbeitsausfall durch die abgebrochene Ernte bezahlt zu werden, bis sie neue Arbeit finden oder ihr Vertrag ausläuft.
Nach monatelangen juristischen Auseinandersetzungen erhalten über 100 Personen Nachzahlungen von insgesamt etwa 100.000€. In diesem Fall war eine kämpferische Gewerkschaft auf Zack, und hat sich von den eilig wieder auf der Suche nach neuen Arbeitsstellen abreisenden Beschäftigten Vollmachten für die arbeitsgerichtliche Vertretung ausstellen lassen.
Berlin, Advent 2014
Der Bau der Mall of Berlin ist fast abgeschlossen. Die Eröffnung naht. In den Baucontainern harren noch Arbeiter aus Rumänien aus und warten auf ihre Löhne von mehreren Monaten. Die Verträge sind undurchsichtig oder existieren auch nicht auf Papier. Einer der Subunternehmer, der sie angestellt hat, ist nicht mehr erreichbar, der andere geht bald darauf in Insolvenz. Die FAU Berlin organisiert Unterkünfte, Demonstrationen und Klagen vor dem Arbeitsgericht. Das zieht sich monatelang hin und am Ende kam man zu spät: Auch der Generalunternehmer geht in die Insolvenz. Und anders als dieser kann nach Ansicht des Gerichts der Eigentümer und Investor des Einkaufszentrums nicht für ausstehenden Löhne haftbar gemacht werden.
Dies sind nur einige Extremfälle. Dass auf den Höfen und in der Fleischarbeitung, oder auf dem Bau mehr oder minder regelmäßig durch Werkverträge, in Rechnung gestellte hohe Unterkunftskosten oder ähnliche Abzüge, frisierte Abrechnungen und so weiter, selbst der gesetzliche Mindestlohn unterlaufen wird, wird hingenommen. Staatliche Gegenmaßnahmen sind nur halbherzig. Viele Arbeiter*innen scheinen sich damit arrangiert zu haben, mangels Alternativen. Vielen fehlt das Wissen, wie sie sich wehren können. Andere trauen sich nicht, und wollen schließlich auch im nächsten Jahr wieder einen Job bekommen, so beschissen die Bedingungen auch sind.
Noch schwerer ist es für diejenigen, die überhaupt keine Papiere haben, die zum Beispiele geflüchtet sind und sich mit solchen Jobs durchschlagen. Ein Beispiel hierfür sind die zahlreichen Migrant*innen aus Westafrika, die auf Gemüseplantagen in Südspanien arbeiten. Es gibt für sie oft kein Zurück mangels Geld und Papieren und auch kein Vorwärts mangels Aufenthaltstitel. Und damit auch kaum eine Möglichkeit sich zu wehren. In Deutschland würde ein Arbeitsgericht ihnen zwar Lohn und Arbeitsrechte wie allen anderen zugestehen, aber das hilft wenig, wenn man gleichzeitig die Abschiebung befürchten muss, sobald man mit Behörden in Kontakt kommt. Auch wenn es immer wieder Beispiele von erfolgreicher Gegenwehr gibt – durch wilde Streiks und/oder dadurch, dass Lohnforderungen per Gericht durchgesetzt werden: Meistens dürfte das nicht so sein und die Betriebe kommen mit ihren schäbigen Tricks durch.
Was wir als FAU vorschlagen können: Sagt Bescheid, wenn ihr von Konflikten dieser Art hört. Ergreift ggf. auch selbst die Initiative und geht auf die Betroffenen zu. Wir können auf jeden Fall durch unsere regionale und bundesweite Erfahrung, rechtliches Wissen und oft auch praktische Solidarität organisieren, sind aber umgekehrt gerade bei solchen Konflikten auf Unterstützung vor Ort angewiesen.
Ziel sollte es sein, dass die wenigen Beispiele erfolgreicher Gegenwehr die Runde machen, insbesondere in den Medien jener Länder, aus denen regelmäßig Saisonarbeiter*innen nach Deutschland kommen. In der Hoffnung dass Gegenwehr selbstverständlicher wird, denn nur so kommt man auf die Dauer wirklich weiter.